Anbieterpräsentation und Vertrag

Innerhalb der Ausschreibungsphase wurde sichergestellt, dass die am besten zu den jeweiligen Anforderungen passenden ERP-Systeme und -Anbieter bei der Anbieterpräsentation berücksichtigt werden. Sollten allerdings noch Zweifel hinsichtlich der Festlegung der Favoritengruppe für die Anbieterpräsentation bestehen, empfiehlt es sich, nach der Ausschreibung noch ein so genanntes Anbieter-Assessment durchzuführen. Hier bekommen sechs bis acht Anbieter innerhalb von vorstrukturierten Kurzpräsentation Gelegenheit, einen ersten Eindruck von der Leistungsfähigkeit ihrer Systeme zu vermitteln.

Vorbereitend zu diesen Anbieter-Workshops ist ein „Drehbuch“ zu erstellen. Neben einer kurzen Vorstellung von Anbieter, System und Referenzen werden für ausgewählte Bereiche systemseitige Lösungen der Anbieter abgefragt. Ziel des Anbieter-Assessments ist es, den Favoritenkreis auf zwei bis maximal fünf Anbieter zu reduzieren. Besondere Berücksichtigung finden sollten diejenigen, die die Anforderungen des Unternehmens in hohem Maße erfüllen, entsprechende Brancheneignung vorweisen und auch kostenseitig in einem akzeptablen Rahmen liegen.

Um die endgültige Entscheidung vorzubereiten, werden dann innerhalb der Anbieterpräsentation die Unterschiede der ausgewählten ERP-Systeme auf Basis der real vorliegenden Abläufe herausgearbeitet und bewertet.Dazu werden mit den favorisierten Anbietern ein- oder zweitägige Workshops (sog. Systemtests) durchgeführt. Ziel dieser Systemtests ist es, einen fundierten Eindruck davon zu erhalten, inwiefern die Software-Produkte die individuellen Abläufe im Unternehmen funktional unterstützen. Zur Vorbereitung dieser Systemtests wird daher ein sog. Testfahrplan erstellt, in dem alle für den Anbieter relevanten Informationen über das Unternehmen, dessen Anforderungen an eine Software-Lösung sowie die Modalitäten des Systemtests enthalten sind. Zentraler Bestandteil des Testfahrplans ist die strukturierte Auflistung der unternehmensspezifischen Anforderungen entlang der betrieblichen Abläufe, die im Rahmen der Systemtests abgefragt werden (vgl. Abbildung 12). Im Anschluss an die durchgeführten Systemtests werden die Beurteilungen aller beteiligten Projektteammitglieder zu den einzelnen Funktionsbereichen erfasst und zu einem aussagefähigen Gesamtergebnis verdichtet.

Die Vorbereitung bzw. Durchführung der Systemtests versetzt die Anbieter in die Lage, einen weitgehend belastbaren Kostenvoranschlag abzugeben. Dieser kann neben den Lizenz- und Wartungskosten auch sehr detaillierte Abschätzungen von Schnittstellenprogrammierungen und zwingend erforderlichen Anpassungen umfassen. Der IT Matchmaker® bietet auch hier sowohl den Anbietern als auch den Anwendern entsprechende Unterstützung, da analog zur Erfassung der Kostenabschätzung entsprechende Erfassungsmasken und Auswertetools zur Verfügung gestellt werden.

Testfahrplan - Projektbeispiel

Abbildung 12: Testfahrplan – Projektbeispiel

Wenn noch erforderlich, kann die Entscheidung durch Referenzkundenbesuche weiter abgesichert werden. Der jeweilige Referenzkunde sollte der gleichen Branche angehören wie das suchende Unternehmen. Sofern zu diesen Referenzkunden keine Konkurrenzsituation besteht, berichten sie in der Regel offen über ihre praktischen Erfahrungen bei der Einführung und täglichen Anwendung mit den jeweiligen ERP-Systemen. Im Rahmen dieser Besuche können weitere Informationen über den Betrieb der ERP-Systeme (Performance, Wartungsaufwand, Zuverlässigkeit etc.) sowie über die Zusammenarbeit mit dem Anbieter (Problemlösungskompetenz, Einführungsunterstützung, Reaktionsschnelligkeit bei Störungen etc.) eingeholt werden. Darüber hinaus kann ein Erfahrungsaustausch über die Erfolgsfaktoren und Fehler bei der Systemeinführung durchgeführt werden. Explizit sollten Probleme bei der Schnittstellengestaltung angesprochen werden.

Ergebnis der Anbieterpräsentation ist eine abschließende Gesamtbewertung. Durch die strukturierte Vorgehensweise können auch in dieser Phase alle vorliegenden Informationen sehr gut miteinander verglichen und zu einem Gesamtwert je Anbieter und System verdichtet werden. Im Rahmen der Gesamtbewertung sollten hierbei die in Abbildung 13 dargestellten Aspekte berücksichtigt und den Kostenangaben der Anbieter gegenübergestellt werden. Beispielweise kann dies in Form des hier dargestellten Portfolios erfolgen. Hierbei wurde die Gesamtbewertung den anfallenden Kosten der nächsten fünf Jahre gegenübergestellt. Auf dieser Basis kann eine sichere Entscheidung für den „TOP-Anbieter“ getroffen werden. Diese Entscheidung hat jedoch lediglich einen vorläufigen Charakter, da natürlich im Rahmen der Vertragsverhandlungen noch die vertragliche Einigung erzielt werden muss.

Kosten/Nutzen Portfolio
Abbildung 13: Kosten/Nutzen-Portfolio – Ergebnis einer strukturierten Ausschreibung

Schritt 8: Vertragsverhandlung

Als letzter Schritt steht die Vertragsverhandlung/-gestaltung mit dem „TOP-Anbieter“ an. Grundlage für den Vertrag bildet das Pflichtenheft. Alle Leistungen beider Vertragspartner – also auch die Mitwirkung des ausschreibenden Unternehmens – werden hier eindeutig definiert und dokumentiert.

Das Pflichtenheft wird auf Basis des Lastenheftes, des Testfahrplans sowie aller bisher gewonnenen Erkenntnisse erstellt. Alle benötigten, vor allem die über die Standardleistungen der Software hinausgehenden Funktionen werden im Pflichtenheft dokumentiert. Oftmals werden während der Systemtests Systemschwächen erkannt und der Ergänzungs-, Änderungs- bzw. Anpassungsbedarf identifiziert, der im Pflichtenheft festzuhalten ist. Unter Umständen sind für die Pflichtenhefterstellung weitere Workshops mit dem Systemanbieter durchzuführen, in denen kritische Anforderungen nochmals detailliert untersucht werden und die systemtechnische Umsetzung fixiert wird. Fixiert werden müssen auch die erforderlichen Schnittstellenprogrammierungen und der Aufwand zur Übernahme der Daten aus den Altsystemen. Dies ist unabdingbar, zumal die Kosten für die Programmierung von Anpassungen und Schnittstellen neben den Lizenz- und Dienstleistungskosten maßgeblich das Gesamtbudget ausmachen.

Im Rahmen der Vertragsgestaltung sollte ein detaillierter Implementierungs- und Schulungsplan erstellt werden. Dieser bildet die Grundlage für eine fristgemäße Implementierung und Inbetriebnahme der neuen Software. Weiterhin sollte spezielles Augenmerk auf die gewünschten Dienstleistungen gelegt werden, die sich an die Hard- und Softwareinstallation anschließen.

Eine allgemeingültige Vorgehensweise bei der Vertragsgestaltung gibt es nicht, da diese auch stark von den jeweiligen Randbedingungen, z.B. den jeweiligen Einkaufsrichtlinien des Anwenders oder dem Lizenzmodell des Anbieters, abhängt. Je nach Größe und Komplexität des Projektes kann eine Pilotinstallation sinnvoll sein. So kann die neue Software-Lösung vor der tatsächlichen Inbetriebnahme ausgiebig getestet werden. In diesem Fall muss die Pilotinstallation in den Implementierungsplan einfließen. In bestimmten Fällen werden für den Fall des Scheiterns einer Pilotinstallation Rücktrittsklauseln im Vertrag formuliert. In anderen Fällen wird ein Vertrag erst nach einer – meist kostenpflichtigen – Pilotinstallation abgeschlossen.

Generell gilt: Eine gründliche Arbeit im Rahmen der Vertragsgestaltung zur Fixierung der Softwarefunktionalitäten bzw. -performance und der für die Implementierung und den Betrieb erforderlichen Dienstleistungen bewahrt den Anwender und den Anbieter vor unliebsamen Überraschungen bei der Software-Implementierung bzw. -Inbetriebnahme. Ganz nach dem Motto: Vertrag kommt von „sich vertragen“.

Nach Abschluss des Vertrages mit dem Software-Lieferanten steht die Implementierungsphase der neuen Lösung an. Diese Phase sollte seitens des einführenden Unternehmens sorgfältig überwacht werden. Besonderes Augenmerk ist darauf zurichten, dass die während der Auswahl-Phase beschlossenen Anpassungen der Software-Lösung an die spezifischen Unternehmensprozesse auch umgesetzt werden. Nicht selten stellen Unternehmen erst in der Implementierungsphase fest, dass die präsentierte Systemkonfiguration durch den Anbieter die eigenen Anforderungen nur unzureichend erfüllt. Dann werden meist so genannte Change Request erforderlich – das sind Änderungen  von vertraglich fixierten Anforderungen an die neue Software-Lösung. Da sie das Budget zusätzlich auffressen können, sollten alle zusätzlich während der Implementierung vorgeschlagenen Anpassungen des Systems kritisch hinsichtlich ihrer Notwendigkeit sowie ihrer wirtschaftlichen Vertretbarkeit überprüft werden. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ist eine strukturierte Vorgehensweise bei der Software-Auswahl wichtig, denn dadurch können den Kostenrahmen sprengende Change Requests verhindert werden. Die regelmäßige Überprüfung des Projektfortschritts ist Gegenstand des Projektcoaching im Rahmen der Software-Einführung.

Fazit

Um für ein ERP-Projekt eine möglichst hohe Investitionssicherheit zu gewährleisten, ist eine strukturierte Vorgehensweise bei der Auswahl von Anbieter und System unerlässlich. Hierzu sind nach der Einrichtung des Projektes die unternehmensspezifischen Anforderungen an das neue ERP-System in einem Lastenheft zusammenzufassen. Auf dieser fundierten Basis kann das Marktangebot sukzessive auf drei bis fünf Anbieter und Systeme reduziert werden. Diese Kandidaten kann man dann im Rahmen von vorstrukturierten Anbieterworkshops anhand der unternehmensspezifischen Anforderungen überprüfen und vergleichen. Zusammen mit den Kostenvoranschlägen wird so die Entscheidungsgrundlage zur Auswahl des Topkandidaten geschaffen. Es hat sich gezeigt, dass Hilfsmittel und Werkzeuge wie der IT‑Matchmaker® effiziente Mittel bei der Bearbeitung von ERP-Auswahlprojekten sein können. Sie beschleunigen den Auswahlprozess und tragen somit zur Reduzierung der Kosten bei.

Der Entscheidungsprozeß für eine neue Software-Lösung ist zwar lang und zeitaufwendig, doch ist das Projekt damit noch nicht beendet. Um vor bösen Überraschungen gefeit zu sein, empfiehlt es sich, während der Implementierungsphase den Projektstatus regelmäßig zu überprüfen.